Vor kurzem hat mich jemand eine Egoistin genannt. Den Grund dafür mag ich hier nicht länger ausführen; es hat mit religiöser Überzeugung zu tun und ob man an ein Leben nach dem Tod glaubt oder nicht. Dies sei dahingestellt …
Jedenfalls hat es mich gewurmt. Tagelang habe ich darüber nachgedacht. Ich sei egoistisch. „Nein, sicher nicht!“ tobte es in mir. Wo mir doch Gerechtigkeit ein großes Anliegen ist und gleichwertiges Miteinander, langjährige Freundschaften und Gemeinschaft viel bedeuten. Ich kümmere mich gerne und viel um andere. Schon als Kind habe ich mich für meine Klassenkameraden eingesetzt. Ich erinnere mich an eine Situation, in der ich einer Kollegin meine Hausübung geschenkt habe, nur damit sie nicht vom gefürchteten Direktor geschimpft bekommt. Lieber halte ich den Kopf hin.
Für die Rettung der Wale habe ich mich eingesetzt und gegen den Einsatz von FCKW in Kühlschränken. Fleißig habe ich Unterschriften gesammelt. Das war damals noch zu Fuß, analog. Mit Stift und Papier. Von Tür zu Tür bin ich gezogen, um idealistisch die Welt zu verändern. Was FCKW genau ist, das konnte ich nicht erklären, irgendwas Chemisches halt. Aber das Gefühl zu haben: Ich tue etwas für diesen Planeten und ich kann etwas dazu beitragen, dass das Ozonloch nicht so schnell wächst und die gesamte Menschheit etwas davon hat, das war motivierend.
Nun, anhand der Anzahl der ‚Ichs’, die in diesem Text vorkommen, könnte man natürlich ableiten, ich wäre egoistisch. ‚Ego’ kommt vom Lateinischen und heißt ‚ich’, ‚-ismus’ ist ein griechisches Wortbildungssuffix. Zusammengesetzt bedeutet es so viel wie „Eigeninteresse“ und „Eigennützigkeit“. Was ich per se allerdings noch immer nicht schlecht finde.
Warum hat es mich dann so gewurmt? Weil der Begriff in unserem Sprachgebrauch häufig in einer abwertenden Haltung verwendet wird. Ich-Bezogenheit, vielleicht ein übertriebenes Interesse für sich selbst und seine eigenen Zwecke. Ohne Rücksicht auf andere. Das ist der Wurm. Ja, da ist er!
Denn ja, natürlich will ich, dass es mir gut geht. Und ja, ich interessiere mich für mich selbst. Aber: dies will ich rücksichtsvoll tun. Mit ganz viel Interesse und Aufmerksamkeit für andere. Es freut mich riesig, wenn die Personen rund um mich glücklich und zufrieden sind. Wenn sie strahlen und mir von ihren schönen Momenten erzählen. Wenn ich merke, dass Freude und Wohlbefinden spürbar sind. Was hätte ich davon, wenn ich nur für mich existiere? Erst das Miteinander macht es lebenswert. Eine einzelne Karotte macht schließlich auch noch keine gute Suppe.
Ich bin der Meinung, wenn lauter zufriedene Egoisten zusammentreffen, denen das eigene Wohl UND das Wohl der anderen wichtig ist, dann ist friedliches und gutes Zusammenleben möglich. Wenn ich nun selbst religiöse Literatur strapazieren darf: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Vielleicht bin ich nun etwas lieber eine Egoistin, und du?